EPCOTs World Showcase und die verlorenen Weltkulturerbe – Teil 1
13.05.25, 10:57 |

Der World Showcase heutzutage besteht aus elf Ländern, die wir bei unserem Besuch sehen und bestaunen können – oder bei denen wir uns manches Mal ob der offensichtlichen Klischees an den Kopf greifen (ich sage nur Lederhosen und Dirndl). Angesichts der offiziell durch die Vereinten Nationen anerkannten 193 Staaten dieser Welt nicht gerade viel. Doch was ist, wenn ich Euch heute offeriere, dass wir eigentlich durch 30 Länder hätten gehen können in EPCOT? Immer noch mickrig im Vergleich, aber wesentlich mehr als es tatsächlich sind. Lasst uns doch mal schauen, wer diese Länder hätten sein können, und welche Hindernisse die Realisierung ihrer Pavillons verhinderten.
Erste Überlegungen zu einem World Showcase
Zugegeben, wenn wir uns vorstellen, dass auf der Fläche des heutigen World Showcase munter dreißig Länderpavillons Platz gefunden hätten, wären sie ganz schön schmal geraten. Vermutlich nach hinten raus recht lang, aber eben mit wenig Ellbogenfreiheit. Doch sobald wir uns das allererste Konzept zu einer Art World Showcase anschauen, welches von Walt Disney für das Disneyland in Anaheim mit entwickelt wurde, dann wäre da sogar noch weniger Platz gewesen.
Denn die „International Street“ sollte eine kleine Parallelstraße zur Main Street werden. Sie sollte ähnlich zur „Liberty Street“ sein, die sich der amerikanischen Gründungsgeschichte widmen sollte. Aus der Liberty Street wurde schlussendlich der Liberty Square im Magic Kingdom, Orlando. Die Geschichte dessen betrachte ich gern in einem zukünftigen Artikel zur Disney-Parks-Historie. Die Themen gehen nie aus, wenn wir uns auf die Worte Walts berufen: „So lange es Fantasie in der Welt gibt, wird Disneyland (und Disney World, Anmerkung von mir) niemals fertig sein.“

Doch wir schauen heute nach dem World Showcase, und in diesem Zusammenhang nun nach der International Street. Als Seitenarm zur Mainstreet lockte sie Gäste an, sich an den exotischen Architekturen des alten Europas, Asiens, Afrikas und Südamerikas zu weiden. Es waren stilisierte Gebäude, nach den traditionellen Baustilen der einzelnen Regionen geplant, mit Möglichkeiten landestypische Souvenirs und Speisen zu erwerben. Die Welt rückt zusammen und wir sind alle Nachbarn, so zumindest Walts Weltansicht. Er war im besten Sinne eine global denkende und lokal handelnde Person: Weltoffen gegenüber den Menschen und bemüht sein Mitbürgern das Verständnis für andere Kulturen näher zu bringen.
Schweizer Bergluft statt kosmopolitischem Flair
Doch wie es so bei Disney ist, bleibt kein Konzept jemals so bestehen, wie man es sich in der Anfangsphase, oder auch Blue Sky Phase, wenn Ideen bis in den Himmel schießen dürfen und Luftschlösser ausdrücklich erwünscht sind, vorstellte. So wurde aus der International Street 1956 zunächst gedanklich das „International Land“. Das hätte dort angesiedelt werden sollen, wo seit 1959 die Matterhorn Bobsleds ihre Runden drehen.
Doch leider war der Ort, den sich die Imagineers ausgesucht hatten, für die Präsentation der restlichen Welt doch zu winzig. Auch die Promo für den Film „Der Dritte Mann im Berg“ und Walts Faszination für das real existierende Massiv verlangten nach einer Achterbahn in der Kulisse des Films, statt eines Spaziergangs durch andere Länder. Immerhin hat es die Repräsentation der Schweiz in den Park geschafft!

Derweil entstand ebenfalls das Konzept für die „Experimental Community/City (die beiden Worte wurden äquivalent zueinander genutzt) Of Tomorrow“ – oder abgekürzt „E.P.C.O.T.“. Diese firmierte auch unter dem Namen „The Florida Project“ – und das lässt alle Disneyparks-Fans aufhorchen. Denn viele von Euch kennen bereits meine halbe Doktorarbeit zu dem Thema, und hätte ich mein Studium seinerzeit tatsächlich beendet, wäre es auch eine geworden. Wer sie noch nicht kennt, einmal bitte hier klicken, und in Ruhe genießen. Ihr könnt das auch später tun, es sind drei Teile und die laufen so schnell nicht weg.
Die Idee hinter Epcot
Jedenfalls war E.P.C.O.T. eine von Walt selbst entworfene Stadt der Zukunft, die wieder richtig lebenswert sein sollte für die Bürger. Kein Autoverkehr, viel Grün, ausschließlich öffentlicher Nahverkehr auf Schienen und über den Köpfen flanierender Fußgänger, damit möglichst keine Auffahrunfälle entstehen. Zudem gab es die Idee, ein weltkulturelles Zentrum zu errichten, welches zur Völkerverständigung beitrüge. Neben Begegnungsstätten sollten auch Restaurants für landestypische Gerichte und Geschäfte mit einzigartigen Produkten der jeweiligen Nationen ihren Platz finden. Man kann sagen: Walt war ein Humanist, dem zuerst das Wohlbefinden anderer am Herzen lag. Er wollte Umgebungen erschaffen, in denen sich jeder einzelne von uns geborgen fühlt und seiner oder ihrer Fantasie freien Lauf lassen möge.
Dahin wanderte also das Konzept der International Street, nun mehr eine Art International Square, wobei der Wortlaut so nie gefallen ist. Allerdings kam es nie zur Umsetzung der Stadt E.P.C.O.T., aufgrund Walts zu frühen Ablebens. Danach konzentrierten sich alle Kräfte, halb gelähmt von der schockierenden und tragischen Nachricht, auf die Realisierung des Magic Kingdom. Dieses war ebenso Teil des Florida Projects und sollte als Lockvogel für Besucher aus der ganzen Welt dienen. Das wäre auch das erste Mal, dass sich Walt auf ein Sequel eines erfolgreichen Produkts eingelassen hätte, denn normalerweise verabscheute er Wiederholungen, wie er selbst häufig sagte, nur in sanfteren Worten.
Die Welt muss warten
Das Magic Kingdom also hatte fortan Priorität, denn hier wussten die Imagineers bereits, was sie tun mussten. Sie hatten die Erfahrung schon einmal gesammelt und konnten die Blaupause Disneyland anlegen. Natürlich gab es einige Veränderungen hier und da, damit es auch für Besucher aus dem Westen des Landes interessant wäre. Als dieser Meilenstein geschafft war, schauten sich alle noch einmal E.P.C.O.T. an. Dazu zählten auch die neuen Geschäftsführer Card Walker und Donn Tatum, denn Roy Disney, der aus seinem Ruhestand zurückkehrte, um die Disney Company weiterzuführen, segnete kurz nach der Eröffnung des sogenannten „Disneyland of the East“ ebenfalls das Zeitliche.
Die Herrschaften, die nun die Ruder in der Hand hielten, wollten den beiden legendären Brüdern ein Denkmal setzen. Dazu wollten sie deren letztes Projekt zur Vollständigkeit bringen. Also überlegten sie, gemeinsam mit den Imagineers, wie denn diese Stadt am besten umzusetzen sei. Zu diesem Team gehörte auch Marty Sklar, der in Sachen Öffentlichkeitsarbeit als Walts rechte Hand galt.
Es wurden Firmen angesprochen, um als Sponsoren das Projekt finanziell zu unterstützen. Doch die Nachwirkungen des Vietnam-Kriegs, die Watergate-Affäre sowie die große Ölkrise von 1973 und damit einhergehende wirtschaftliche Einbußen – wer erinnert sich eigentlich noch an die autofreien Sonntage auf Deutschlands Straßen damals? – führten dazu, dass Disney überall mit ihren Präsentationen und Bitten um Gelder abblitzten.
Niemand glaubte an die Stadt der Zukunft, das Konzept war seiner Zeit zu weit voraus. Zudem sahen die Unternehmen nicht, wie sich in einer solchen Stadt aufmerksamkeitsstark als Sponsoren in Szene setzen oder ihre Produkte bewerben könnten. Dazu kam, dass es auch untereinander konkurrierende Firmen waren, die simultan angesprochen wurden. Wer von Euch in der Privatwirtschaft arbeitet, weiß möglicherweise um die Befindlichkeiten von großen Firmen, wobei sich der Vergleich zu den Diven des goldenen Hollywood-Zeitalters aufdrängt.
Von jetzt an eigenständig
Aber es kamen auch Vorschläge, wie Disney E.P.C.O.T. anders und besser gestalten könnte. Nämlich wie eine permanente Weltausstellung, in denen sich die Sponsoren mit ihren Kernthemen und -produkten präsentierten. Das führte dann auch zum Umdenken bei den Imagineers. Aus E.P.C.O.T. als Akronym für die Experimental Community/City Of Tomorrow wurde nun „Future World Theme Center“, der Themenpark, welcher Bildung, Zukunftsvisionen und Product Placement in sich vereinen würde.

Und hier kommen wir nun auch zu folgender Idee. Der World Showcase, ein Wortspiel zu Walt Disneys Aussage „E.P.C.O.T. will always be a showcase to the world of the ingenuity and imagination of American free enterprise“. Hier wollten sie nun, ganz in klassischer Weltausstellungsmanier, einen Ort für Länderpavillons schaffen. An diesem Ort sollten die unterschiedlichen Kulturen an einem festen Platz und dauerhaft zusammengebracht werden. Zunächst war der World Showcase noch ganz eigenständig. Er sollte in der Nähe des Transportation and Ticket Center aufgebaut werden und in zwei Halbkreisen zueinander stehen. Ganz ähnlich dem „Communicore“, der in der Anfangszeit von EPCOT Center einen großen Souvenirladen und kleinere Exponate rund um das Thema „Zukunft der Kommunikation und Informationsbeschaffung“ enthielt. Hier zwei Vergleichsbilder von Communicore und World Showcase in der frühen Planungsphase:


Der Grund, weswegen der World Showcase hinter dieser fast schon futuristisch anmutenden Fassade gesteckt wurde, ist, dass ein Bild der Gleichheit und Einigkeit aller Nationen vermittelt werden sollte. Innerhalb der Gebäude wiederum war vorgesehen, die Länder mit ihren bedeutendsten Wahrzeichen und all ihrer architektonischen Verschiedenheit liebevoll wie detailreich zu repräsentieren. Harper Goff hat hierfür ganz wundervolle Konzeptzeichnungen angefertigt.
Disneylegende wehrt sich gegen Betonklotz
Er war auch nicht begeistert von der Idee, die Länderpavillons hinter grauem Beton zu verstecken. Wahrscheinlich war da auch ein Fünkchen Eitelkeit im Spiel. Denn ganz ehrlich, wenn ich solche wunderschönen Zeichnungen für den World Showcase hinterließe, dann würde ich wollen, dass man die weltlichen Umsetzungen von Weitem erkennen kann. Einerseits um zahlreiche Gäste anzulocken mit den farbenfroh gestalteten Bauten, und andererseits auch, um sagen zu können: Schaut her, das habe ich entworfen. Genau wissen tun wir es nicht, weswegen Harper Goff ein entschiedener Gegner des einheitlichen Looks der ersten Showcase Iteration war, aber ich denke, meine Vermutung enthält ein winziges Körnchen Wahrheit.
Jedenfalls kam es dazu, dass die Geschäftsführungsebene Botschafter von möglichen Teilnehmer-Staaten durch die Räumlichkeiten der „WED Enterprises“ (WED steht für Walter Elias Disney, Walts eigens gegründete Firma, die sich nur um das Imagineering der Disney-Parks kümmerte und heute als „WDI“ (Walt Disney Imagineering) bekannt ist) führte, um ihnen den Fortschritt in Sachen World Showcase zu zeigen. Herr Goff war daher so clever und platzierte wie zufällig herumliegend seine Entwürfe für den geplanten Park. Die Diplomaten sahen das natürlich und waren angetan und auch geschmeichelt von der charmanten Darstellung ihrer Nationen. Dadurch wurde schlussendlich seine Vorstellung von der permanenten Weltausstellung ausgewählt. Das einheitliche Gebäude wurde also ganz schnell vom Modell-Plan gerupft.
Dann ging es noch eine Weile darum, an welchem Ort der World Showcase errichtet werden könnte. Es gab dabei einiges an Diskussionen, Modell-Besichtigungen und Rumgeschiebe an den Gebilden. Am Ende stellten John Hench und Marty Sklar zusammen den Park „Future World“ sowie den World Showcase einfach einander direkt gegenüber. Somit ward das „EPCOT Center“ geboren. Nur unterbrochen vom großen See namens „World Showcase Lagoon“, auf dem das große allabendliche Show-Spektakel mit Feuerwerk und Musik stattfinden würde.

Wer wird das Länder-Herzblatt?
Nun haben wir geklärt, wie der World Showcase entstand und warum er an genau dieser Stelle platziert wurde. Nun geht es an die Frage, welche Länder ursprünglich vorgesehen waren und warum wir uns mit elf davon begnügen müssen. Also beginne ich erst mit der Aufzählung, wer in Frage kam, angefangen mit denen, die tatsächlich gebaut wurden (In der Reihenfolge wie man sie im Uhrzeigersinn besucht): Mexiko, Norwegen (als Teil des Skandinavien-Pavillons, den ich unten erwähne), China (das allerdings erst später seine Zusage gab und damit den geplanten Taiwan-Pavillon übernahm), Deutschland, Italien, USA (offensichtlich!), Japan, Marokko, Frankreich, Großbritannien und Kanada.
Weitere geplante Pavillons
Zu den weiteren Ländern, die von Disney angesprochen wurden, und auch zeitweilig Interesse bekundeten, bevor sie dann doch wieder aus meistens finanziellen Gründen absagten, zählten unter anderem: Brasilien, Costa Rica, Israel, die Niederlande, Polen, Schweiz, Südkorea und Taiwan. Zudem Skandinavien als Ganzes, inklusive Dänemark und Schweden, Saudi-Arabien, bzw. die Vereinigten Arabischen Emirate, Venezuela, Australien sowie Neuseeland als „ein Land“ und genauso als „ein Land“ die afrikanischen Staaten, die unterhalb der Sahara liegen. In den Konzeptzeichnungen und Modellen wird der Begriff „Äquatorialafrika“ benutzt, der genauso wie der gleich folgende Begriff „Sowjet Union“ veraltet ist. Dann folgte ein Russland-, bzw. Sowjet-Union-Pavillon sowie ein Bereich für Spanien.

Und das sind nur die Länder, für die es nachweislich entweder feste Ankündigungen in Promotionsmaterialien gab oder als kleine Modelle im größeren World Showcase installiert wurden. Doch auch, wenn die Liste oben anmutet, als könnten die dreißig angedachten Slots gefüllt werden, so wurde Disney bei seinen Versuchen, Sponsoren zu gewinnen, häufig abgelehnt. Zu teuer, kein Budget, kein Interesse.

Daher begnügte sich Disney mit den Interessenten, die sich zumindest soweit bekundeten, den angebotenen Pavillon umzusetzen und Gelder dafür locker machen wollten. Sie konnten damit auch die Flächen für die Länder etwas vergrößern und mehr Raum geben. Soweit so gut. Über die meisten geplanten Pavillons ist nicht viel bekannt außer den Konzeptzeichnungen und Modellbauten. Aber über einige andere war die Planung soweit voran geschritten, dass bereits Attraktionen beworben wurden.
In Teil 2 werde ich mir daher eben jene Länder rauspicken, über die schon viel bekannt war, bevor sie abgesagt wurden und auch über die nie gebauten Rides der existierenden Länder Deutschland, Großbritannien, Japan und USA berichten. Ihr dürft also gespannt bleiben!